Inhouse matters – aber wie lange noch in Zeiten von KI?

Dezember 28, 2023by Kuntze-Kaufhold0

Am 7. Dezember 2023 lud das Online-Magazin Deutscher AnwaltSpiegel gemeinsam mit der FAZ Business Media zum Austausch privater Rechtsdienstleister in die Räume der Frankfurter School of Finance ein. In der Mainmetropole trafen sich Unternehmensjuristen, Anwälte und Legal tech-Anbieter zu einem Themen-Mix rund um den von Rechtsabteilungen gesteuerten Einsatz von KI in Unternehmen. Hier folgt ein Rückblick auf die Veranstaltung.

Wankende Berufsbilder

Mit dem Thema hatten die Veranstalter ins Schwarze getroffen, mit dem Datum leider nicht. Die Veranstaltung litt unter dem von der GDL ab 22h ausgerufenen Bahnstreik. Viele Teilnehmer und manche Referenten hatten die vorsorglichen Warnungen der Deutschen Bahn befolgt und es vorgezogen, die Reise zu ‚verschieben‘, also ausfallen zu lassen. Prompt wurde an den Stehtischen darüber diskutiert, wie lange die analoge Welt der KI noch ein Schnippchen schlagen könne. Ein Anwaltskollege meinte, die Deutsche Bahn solle die Forderungen der GDL einfach übererfüllen. Im Fernverkehr könne die Arbeitszeit der meisten Lokführer auf Null reduziert werden, die ICE würden vollautomatisiert ohnehin viel zuverlässiger fahren. Es folgte eine lebhafte Diskussion, die in der These gipfelte, die Dynamik der KI-Entwicklung führe über kurz oder lang zur Abschaffung sämtlicher Berufe, denen es nicht gelinge, ein Profil herauszuarbeiten, das über die von KI-Anwendungen bereitgestellten Lösungen hinausgeht. Werden aus 1000 Lokomotivführern 10 Lotsen für Schienenfahrsysteme? Müssen Ärzte sich bald als Assistenten für KI-gesteuerte Diagnosesysteme mit Pflegeschein bezeichnen lassen? Und wenn ja, was wird dann aus Juristen? Hier gingen die Meinungen, wie man sich denken kann, auseinander. Als  kurz darauf die Veranstaltung begann, durfte man über die Einschätzunug der Experten gespannt sein: Werden unsere Tätigkeiten von der KI geschluckt wie von einem schwarzen Loch? Und wie kommen wir wieder heraus, falls überhaupt? Allerdings stellte sich bald heraus, dass kaum ein Diskutant der vier Panels sich eine konkrete Prognose  entlocken ließ. Einig waren sich die Praktiker immerhin darin, dass die Richtung der KI-basierten Dynamik gravierende Auswirkungen auf die klassischen juristischen Berufsbilder haben werde.

Neue Aufgaben

Zunächst kamen Vertreter von Rechtsabteilungen mittelgroßer und größerer Unternehmen zu Wort. Die Seitenwechslerin Dr. Valesca Molinari, General Counsel von Sunfire, beschwor den mindset shift. Unter dem zustimmenden Nicken ihrer Kollegen auf dem Podium warnte sie davor, KI als eine Lösung zu verstehen, die wie eine Software eingekauft werden könne. Vorrangig seien die Prozesse. Spätestens als sie erklärte, was sie damit meinte – sämtliche Abläufe, von der Rechnungserfassung bis zum Umgang mit Kundenbeschwerden, seien neu zu definieren – , musste jedem Zuhörer klar werden, dass mit der KI kein Stein auf dem anderen bleibt. Jeder soll mit jedem im Unternehmen reden, und das Reden, im Sinne eines Sendens und Empfangens relevanter Botschaften, muss komplett neu gelernt werden. Dan-Alexander Levien, Leiter des Rechtsservice der Audi Electronic Ventures GmbH, ergänzte, es gehe dabei auch um die eigenen Daten. Die in Unternehmen in Form von Datensätzen angesammelten Wissensbestände seien ein mit Hilfe von KI zu hebender Schatz. Dr. Urszula Nartowska, General Counsel von OBI, fand ein noch deutlicheres Bild: Die juristische Bewertung eines Vorgangs sei in Zeiten der KI die Spitze eines Eisbergs. Der Rest, der eigentliche Berg, sei die operative Umsetzung. Dabei komme es nunmehr auf die Schnittstellen zwischen den Teams an. Levien stimmte zu und meinte, wer moderner werden wolle, müsse durch den Berg. Es sei der falsche Weg, Prompts mit der Absicht in einen KI-Bot ‚reinzuhauen‘, das Ergebnis in einen unveränderten Arbeitsprozess zu übertragen. Stattdessen seien die Prozesse, um die es gehe, neu zu bestimmen. Mit diesen Beiträgen schälte sich schon das später auf dem Podium vorgestellte Konzept des ‚Human Centered Leadership‘ heraus. Im Raum stand damit allerdings auch die Frage, was gerade die Juristen in einem Unternehmen dazu qualifiziert, „durch den Berg zu gehen„. Leider stellte sie niemand, auch nicht der ansonsten sehr umsichtige Moderator, Prof. Dr. Wegerich.

Im zweiten Panel präsentierten sich KI-affine Anwaltskanzleien. Auch hierbei kam es zu bildhaften Vergleichen. So räumte Myriam Baars-Schilling, Managing Partner von Oppenhoff, ein, dass die Rechtsberatungsbranche vor einem disruptiven Ereignis stehe. Viele Kanzleien seien noch dabei, sich die Karten zu legen, um zu überlegen, wie es mit ihrem Geschäftsmodell weitergehe. Noch drastischer wurde Constanze Schmack, COO von Pinsent Masons: Das Flugzeug müsse während des Fluges gebaut werden. Der menschliche Faktor und das Management seien dabei entscheidend. Einen klaren Blick in Richtung Mandanten hatte Olaf Kranz, Managing Partner von Taylor Wessing: Gefragt seien Leute, die das Anwaltsgeschäft verstünden und zusätzlich programmieren könnten. Die gebe es, sie seien aber rar. Mit ihrem Potenzial ließe sich eine skalierbare Software entwickeln. Als Beispiel nannte er eine Anwendung, mit der Fehler in Bebauungsplänen ausfindig gemacht werden könnten. Einmal entwickelt, komme das Programm für eine Vielzahl von Nutzern zur Anwendung – offenbar ist KI auch in der Lage, den strategischen Umgang mit Recht zu potenzieren!

Ähnlich aufschlussreich war ein Beispiel von Dr. Stephan Morsch, SKW Schwarz, zum leap frogging: Die KI mache es möglich, den 20 Jahre alten Streit über die Dokumentation von Know-How-Datenbanken beizulegen. Entscheidend sei nicht das Ablagesystem, sondern die digital literacy. Damit sprach er Zuhörern Mut zu, die sich, wie wohl die meisten, nicht zur digitalen Avantgarde zählen. Und auch hier blieb das heimliche Hauptthema die Unternehmenskultur. Ein prägnantes Bild lieferte Dr. Hariolf Wenzler, CEO der Unternehmensberatung YPOG. Er griff auf eine Studie zurück, wonach in modernen Unternehmen die Organisationsstruktur immer weiter von der klassischen Pyramide wegkomme und hin zur Rakete tendiere. In dieser Logik könne man sagen, je näher ein Unternehmen an der Rakete sei, umso besser könne es mit KI umgehen. Fazit des Panels war, dass es etliche gute Gründe gibt, sich mit KI zu beschäftigen – und keinen dagegen. Dabei gingen die Diskutanten mehr oder weniger stillschweigend davon aus, Unternehmensanwälte seien die Lenker, wenn nicht Erbauer der Rakete. Und sie das Kontrollzentrum.

Einen unerwarteten Erkenntnisgewinn brachte das dritte Panel, das sich mit Cybersicherheit befasste, und zwar unter dem sprechenden Titel: „Die Frage ist nicht, ob, sondern wann der Worst Case eintritt: Wie sich Rechtsabteilungen und Kanzleien bestmöglich gegen Cyberattacken schützen.“ Mit Marc Geiger, dem IT-Leiter der Kanzlei Gleiss Lutz, war ausnahmsweise ein Nicht-Jurist vertreten. Er erwies sich als wandelnde Schnittstelle zur Minimierung des größten IT-Sicherheitsrisikos – der Unbedarftheit von Anwendern. Dabei sparte auch er nicht mit Bildern. Die Firewall müsse man sich als Burgwall vorstellen, hinter dem ein Graben, besetzt mit Piranhas, komme. Bei der Abwehr von Cyber-Attacken gehe es nicht darum, die Mauer möglichst hoch zu ziehen, das könne sogar kontraproduktiv sein. Vielmehr komme es auf eine Gesamtbetrachtung an, auch was die KI angehe, die zum Angriff wie zur Abwehr tauge. Zukünftig müsse man mit phishing-Angriffen in Form von deep fake-Fotos oder Fake-Audio-Dateien rechnen. Dabei sei jede Kette nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Er erkläre den Partnern in ihren Versammlungen höflich, aber bestimmt, dass sie mit keiner 100%igen Sicherheit rechnen könnten, solange es da eine bestimmte Person unter ihnen gebe, die reflexartig jeden Anhang herunterlade. Geiger hatte nicht nur die Lacher auf seiner Seite, sondern dürfte aufgrund seines souveränen Auftretens und seiner Schnittstellen-Kompetenz mit der ein oder anderen headhunter-Attacke rechnen müssen. Zurück zur Ungemütlichkeit des Themas führte der Moderator Dr. Daniel Pauly von der Kanzlei Linklaters, der am Ende darauf hinwies, dass Geschäftsführern zukünftig die persönliche Haftung droht, wenn sie die Grundsätze für Cybersicherheit nicht einhalten.

Spannend wurde es wieder mit dem letzten Panel, das den Legal Tech Dienstleistern gewidmet war. Wer sich erhofft hatte, der Moderator, das Schweizer Urgestein Prof. Dr. Bruno Mascello, möge den Diskutanten auf den Zahn fühlen, wurde nicht enttäuscht. Mascello fragte rundheraus, ob Legal Tech durch die moderne KI überflüssig werde. Auf die provokante Frage, ob sie vor diesem Hintergrund noch gut schliefen, antworteten die Vertreter unterschiedlich. Zoran Zovko, Business Developement Manager von KLDiscovery Ontrack GmbH, einem Pionier für e-discovery, wies die Unterstellung von sich, sein Unternehmen habe den Zug verpasst. Man könne allerdings noch effektiver werden, räumte er ein. Was das heißen kann, führte Zoë Andreae, CEO des start-ups Lecare, aus. Sie verneinte einen Bedeutungsverlust ihrer Branche, da es um die Anwenderperspektive gehe, für die maßgeschneiderte Lösungen notwendig seien, wie sie von den Legal tech-Anbietern geliefert werden könnten. Auch sei die Geschwindigkeit der Anpassung an neueste KI-Entwicklungen in den Unternehmen nicht notwendigerweise überall gleich hoch. Es gebe einen großen Erklärungs- und Übersetzungsbedarf. Sven von Alemann, Head of Legal Tech and General Counsel von JOIN, sekundierte: Es gehe um eine nahtlose Integration von KI-Anwendungen. Damit einher gehe ein hoher Beratungsbedarf.

Fazit aus rechtspragmatischer Sicht

Ein Resümee der gesamten Veranstaltung müssen wir uns versagen, weil wir selbst –  streikgeschädigt – die Rückreise antraten, bevor alle Impulsvorträge gehalten waren und die Austausch- und Netzwerkmöglichkeiten ausgeschöpft waren. Ein aufschlussreicher Moment war aber, als der Google-Justiziar für die Region DACH, Dr. Arnd Haller, salopp anmerkte, er wisse nicht genau, warum er ein gern gesehener Gast auf KI-Veranstaltungen sei. Er habe keine Lösung mitzuteilen, auch sein Unternehmen sei durch den Game Changer ChatGPT – bzw. die öffentliche Reaktion darauf – massiv irritiert worden. Man habe sich bei Google hausintern seit 8 Jahren als AI-company gesehen und realisiere nun, dass man in der öffentlichen Wahrnehmung zum Anhängsel geworden sei. Es bleibe wohl nichts anderes übrig, als sich in 5 Jahren wieder zu treffen und eine erste Bilanz zu ziehen. Wenn selbst ein Suchmaschinengigant wie Alphabet/Google sich in Demut übt, stehen die Zeiten offenbar auf Sturm.

Aber auch im Sturm lässt sich segeln. Aus rechtspragmatischer Sicht ist ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen nicht per se unerfreulich. Wenn die Karten im Rechtsmarkt neu gemischt werden, könnten viele schlechte Routinen abgelöst werden. Stupides Durchforsten von Aktenbergen in teuren m&a-Verfahren ist nur ein Beispiel. Das Potenzial für effektivere Rechtsanwendungsprozesse in Unternehmen ist enorm. Die auf der Veranstaltung immer wieder angerissene Frage blieb aber ungelöst: Wer steuert die Rechtsanwendungsprozesse? Hierfür bedarf es nicht nur eines Team-orientierten Ansatzes, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Entscheidend ist ein auch methodisches Verständnis dafür, was getan werden muss.

Wer Transformationsprozesse lenken will, die schneller ablaufen, als Menschen denken können, darf, wenn der Überblick nicht verloren gehen soll, nicht nur über Prozesse und Daten nachdenken. Auch das methodische Fundament ist wichtig. Auf den ersten Blick mag das paradox klingen – leben wir nicht in einem Zeitalter der Pioniere? Und geht es nicht vorrangig ums Tun, ums Experimentieren? Doch, in gewisser Weise schon. Aber nur, was heute gelingt, kann morgen Maßstäbe setzen. Und ein Experiment ohne Fundament – mit Versuchsanordnung, die auf einer begründeten Hypothese beruht – hat nur geringe Chancen auf Erkenntnis- oder Effizienzgewinn.

Für inhouse-Juristen bedeutet das, über den Tellerrand hinaus zu blicken und zu arbeiten, dabei aber die Bodenhaftung zur Rechtsanwendung nicht zu verlieren. Klar: Wer in Silos denkt, nabelt sich ab und verspielt damit die Zukunftsfähigkeit. Wer aber zum Flug abhebt, muss an die Sicherheit der Passagiere denken. Gerade auch, wenn das Flugzeug – oder die Rakete – während des Fluges gebaut werden soll. Die Gleichschaltung von Unternehmensanwalt und Manager, von Steward und Pilot, birgt das Risiko des Größenwahns.

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