Brief des Unterzeichners an die Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf vom 30.11.2024 anlässlich einer Gratulation zum 25-jährigen Anwaltsjubiläum:
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
vielen Dank für Ihr freundliches Schreiben vom 10. August dieses Jahres, in dem Sie mir zu meinem 25-jährigen Jubiläum als Rechtsanwalt gratuliert haben.
Sie schreiben, ich stünde seit 25 Jahren für meine Mandanten im Dienste des Rechts. Das stimmt.
Außerdem schreiben Sie, Ihnen persönlich und dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer sei es eine Freude, mir zu diesem Jubiläum zu gratulieren. Sogar herzlich.
Ich hoffe, das gilt auch noch, nachdem ich mich mit den nachfolgenden Zeilen für Ihre Gratulation bedankt haben werde.
Für meine Danksagung möchte ich der Einfachheit halber auf die gleiche Form zurückgreifen, die Sie gewählt haben, den Brief. Nur mit dem Unterschied, dass meiner offen sein soll.
Warum offen? Für die Antwort verweise ich auf die Webseite der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, wo es heißt:
„Die Aufgabe der Rechtsanwaltskammer ist es, die Belange ihrer Mitglieder und der Anwaltschaft insgesamt zu fördern und sich an der politischen Meinungsbildung zu beteiligen.“
Die Hervorhebung des zweiten Satzteils stammt von mir. Um sie geht es mir.
Sie haben es in Ihrem Gratulationsschreiben ganz richtig ausgedrückt: Die Aufgabe eines Rechtsanwaltes ist es, für seine Mandanten im Dienst des Rechts zu stehen. Um das zu tun, braucht er zwei Dinge: Mandanten und das Recht.
Von den Mandanten möchte ich hier nicht sprechen. Wir wissen, dass sie nicht immer einfach sind. Mal hören sie nicht zu, mal verschweigen sie das Wichtigste – meistens unabsichtlich, manchmal mit Hintergedanken. Aber damit kommen erfahrene Berufsträger zurecht.
Anders sieht es mit dem Recht aus. Ums Recht müssen wir kämpfen. Jeden Tag aufs Neue. Natürlich geschieht das im Interesse unserer Mandanten. Aber indem wir uns für sie einsetzen, setzen wir uns auch für das Recht als Ganzes ein. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns einig!
Aber stimmen Sie mir auch in der Beobachtung zu, dass der Kampf ums Recht schwieriger geworden ist? Nicht, weil unsere Kräfte nachließen. Auch nicht, weil unsere Ansprüche abgehoben wären. Und schon gar nicht, weil unsere Mitspieler in Gerichten, Behörden und Staatsanwaltschaften unbequemer, nachlässiger oder bösartiger geworden wären. Die Akteure und ihre Einstellungen sind ähnlich verschieden, wie sie es vor 25 Jahren waren. Viele meinen es gut, die meisten wollen sich arrangieren, im Guten wie auch im Schlechten. So läuft es nun mal.
Was sich verändert hat, ist etwas anderes: Früher lag zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein Graben. Heute sind es Welten.
Erlauben Sie mir eine Anekdote zur Verdeutlichung: Kurz bevor Sie Ihre Gratulation an mich auf den Weg brachten, hatte ich ein Pro Bono-Mandat im Strafrecht übernommen. Es ging um einen Strafbefehl, der beweisbar zu Unrecht erlassen worden war. In der Einspruchsbegründung hatte ich die Rücknahme des Strafbefehls angeregt. Vom Gericht hörte ich: Nichts. Stattdessen meldete sich mein Mandant. Er hatte eine Ladung zur Hauptverhandlung erhalten. Ich nicht. Was tun? Vor 25 Jahren hätte ich beim Gericht angerufen und nach dem Sachstand gefragt. Nun wollte ich es genauso machen. Sie ahnen bestimmt, was geschah?!
Über Wochen (!) erreichte ich telefonisch (!) weder die Geschäftsstelle noch den zuständigen Richter. Die Geschäftsstelle war zwar in der Ladung angegeben, mit Durchwahl zur namentlich benannten Sachbearbeiterin. Nur ging eben niemand ans Telefon. Als ich daraufhin in der Zentrale des Gerichts anrief, wurde ich mehrfach ins Nirgendwo weitergeleitet. Erst als ich darum bat, mangels Erfolgsaussichten nicht an die Geschäftsstelle weitergeleitet zu werden, wendete sich das Blatt. Die Justizbedienstete seufzte und erklärte mir, dass die Geschäftsstelle unbesetzt sei. Auf meine Frage, wie man als Rechtsanwalt den Zugang zur Justiz erhalten könne, um den – um es nochmals mit Ihren Worten auszudrücken – Dienst am Recht leisten zu können, den man seinen Mandanten schulde, hatte sie eine für mich verblüffende Antwort: Ich solle Werbung für den Justizdienst machen.
Zunächst dachte ich an einen Scherz. Sie meinte es aber ernst. Bitterernst. Der Justiz fehle im ganzen Land Personal. Allein in Düsseldorf seien 800 Stellen nicht besetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich könnte die Anekdote weiter ausführen, möchte Ihre Geduld aber nicht überstrapazieren. Meine Irritation kann ich in den folgenden Fragen zusammenfassen:
- Ist Ihnen bekannt, dass Teile der ordentlichen Justiz im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf in einer so drastischen Weise unterbesetzt sind, dass es für Rechtssuchende und ihre Interessenvertreter zu einem Glücksspiel geworden ist, ob sie jemanden erreichen, der ihnen telefonische Sachstandsauskünfte gibt?
- Stimmen Sie mir zu, dass der unter Punkt 1 beschriebene Zustand über kurz oder lang einen Verlust des Vertrauens, das für einen funktionierenden Rechtsstaat unerlässlich ist, bei Rechtssuchenden hervorruft?
- Wenn Sie mir im Punkt 2 zustimmen – wovon ich ausgehe – , wie kommt es, dass die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf die im ersten Punkt beschriebenen Umstände nicht öffentlich als das benennt, was sie sind: Ein Skandal? Oder habe ich etwas übersehen?
Sicherlich stimmen Sie mir zu, dass mit der Beteiligung an der politischen Meinungsbildung, von der Sie auf Ihrer Webseite sprechen, nicht ausschließlich Klientelpolitik gemeint sein kann. Ich sage das deshalb so deutlich, weil ich in der Vergangenheit nicht immer den Eindruck hatte, dass dieser Grundsatz – unterstellt, er ist auch der Ihre – eingehalten wurde.
So hat die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf in der Corona-Zeit eine vorrangige Impfung für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gefordert mit der Begründung, dass Mitglieder dieser Berufsgruppe einen besonderen Dienst an der Allgemeinheit leisten. Ich gestehe Ihnen, dass die damalige Forderung und ihre Begründung bei mir ein gewisses Unbehagen ausgelöst haben. Angesichts einer Notlage für alle auf Privilegien für wenige zu pochen, schien mir unglaubwürdig und ungeschickt. Aber lassen wir die Vergangenheit aus dem Spiel: Ist es nicht unerlässlich, eine Erreichbarkeit der Justizbehörden zu fordern, wenn wir dem Recht dienen wollen? Eine solche Forderung käme nicht nur Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zugute, das ist schon klar. Unmittelbar würden die Justizbehörden von ihr profitieren, mittelbar die Allgemeinheit. Aber ist es nicht eben dies, was der „Dienst am Recht“ von uns Berufsträgern, die Sie vertreten, erfordert?
Gestatten Sie mir nun doch, die Anekdote noch ein wenig weiter zu erzählen: Die Staatsanwaltschaft nahm den Strafbefehl zurück – zwei Wochen vor dem Termin zur Hauptverhandlung. Was glauben Sie, wie mein Mandant und ich von der Rücknahme erfuhren? Sie ahnen es schon: Vor Ort. Durch einen Justizbediensteten, der uns erklärte, die Hauptverhandlung sei aufgehoben worden. Genau eine halbe Stunde, bevor sie hätte beginnen sollen. Welchen Eindruck mag das wohl auf meinen Mandanten gemacht haben?
Hätte er mich gefragt, wie man ein Rechtssystem respektieren soll, das die Grundstandards der Kommunikation verletzt, was hätte ich ihm sagen sollen? Zu der Frage hätte er allen Anlass gehabt. Nur eine (!) Woche vorher war ihm gekündigt worden. Offenbar wollte sein Arbeitgeber auf die Fahrerlaubnis, um die es in dem Verfahren ging, nicht länger warten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sicherlich verstehen Sie jetzt, weshalb ich Ihnen für Ihre Gratulation zu meinem Jubiläum nur eingeschränkt danken kann. Wichtiger als die Feier von Jubiläen wäre mir, dass wir uns dafür einsetzen, den „Dienst am Recht“ so leisten zu können, dass er diesen Namen verdient. Es würde mich freuen, wenn die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf sich für dieses Ziel einsetzen würde. Vielleicht ein bisschen lautstärker als bislang? Ich denke, das wäre im Interesse von uns allen – und von Ihrem Auftrag, sich an der politischen Meinungsbildung zu beteiligen, gedeckt. Oder, genauer: gefordert.
Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass Fachpersonal auch im Anwaltsbereich fehlt. Ich will auch nicht behaupten, dass es nur einen einzigen Weg gäbe, um die akuten Mängel in der Justizverwaltung abzustellen. Aufgrund der Digitalisierung werden sich Arbeitsbereiche kontinuierlich verändern. Auch könnte der Personalbedarf in naher Zukunft sinken oder sich verlagern. All dies ist möglich.
Aber wäre es nicht die Aufgabe der Rechtsanwaltskammern, den Prozess, der im Idealfall in einigen Jahren zu einer effektiveren Rechtsanwendung führen könnte, analytisch zu begleiten, kritisch zu hinterfragen und gutachterlich zu unterstützen? Wo sind diese Bemühungen? Warum sehe ich sie nicht?
Oder teilen wir nicht die gleichen Prämissen? Meine sind: Die Erreichbarkeit von Justiz und Behörden ist unverzichtbar. Rechtsanwendung darf sich nicht im Verborgenen abspielen. Dass die für den Staat handelnden Akteure strukturell und individuell dialogfähig sind, ist eine elementare demokratische Errungenschaft. Sie ist eine der Voraussetzungen für eine funktionierende Rechtsanwendung. Ohne sie gibt es keinen Rechtsstaat, der diesen Namen verdient. Sehen Sie das anders?
Es würde mich sehr freuen, wenn Sie von Ihrem Engagement in dieser Angelegenheit bald berichten könnten. Dies wäre mir angenehmer als eine Gratulation zum nächsten Jubiläum.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen Tatkraft und hoffe auf bessere Nachrichten,
mit kollegialen Grüßen
gez.
Dr. Gregor Kuntze-Kaufhold
Rechtsanwalt